60 Prozent der Patienten sind auf Betreuung angewiesen. Deren Familien fordern Schlaganfall-Lotsen, die sie durch diese schwierige Zeit begleiten.
Von Jean-Philippe Schmit – Luxemburger Wort, 14. Mai 2024
Wenn ein Blutgerinnsel ein Blutgefäß im Gehirn verstopft oder wenn ein Blutgefäß platzt, tritt ein Schlaganfall auf. In der Folge können Hirnfunktionen, wie das Sprachvermögen, die Motorik oder das Gedächtnis, „plötzlich“ ausfallen.
In Luxemburg kommt dies etwa viermal pro Tag vor. Erkrankungen des Kreislaufsystems, zu denen auch der Schlaganfall zählt, sind die häufigste Todesursache in Luxemburg. Laut Santé waren zerebrovaskuläre Erkrankungen im Jahr 2022 die Ursache für 223 Todesfälle, was 5,4 Prozent aller Fälle entspricht.
Ein Schlaganfall ist aber kein Todesurteil. Vor allem, wenn die Betroffenen schnell reagieren, kann das Leben der Patienten gerettet werden. Dennoch sind Schlaganfälle in Luxemburg die häufigste Ursache für erworbene Behinderungen. „Noch ein Jahr danach sind rund 60 Prozent der Betroffenen auf Unterstützung angewiesen“, so die Deutsche Schlaganfallhilfe.
„Nach einem Schlaganfall dreht sich alles um den Patienten“, sagt Chantal Keller, Präsidentin der Blëtz asbl., der Lëtzebuerger Associatioun fir Betraffener vun engem Hiereschlag. Der 14. Mai ist der European Stroke Awareness Day (Europäischer Tag der Schlaganfall-Aufklärung). Dabei sei ein Hirninfarkt nicht nur ein tiefer Einschnitt im Leben des Betroffenen, sondern auch im Leben seiner Angehörigen.
„Die Familie droht in der Arbeit zu ersticken“, sagt sie. Selbst im reichen Luxemburg hänge die Versorgung der Patienten vom Geldbeutel der Familie ab. „Es gibt Menschen, die nach dem Schlaganfall eines Familienmitglieds in die Armut abrutschen.“
„Nach dem Vorfall waren wir geschockt“
Heute weiß Sabina Hoffmann (Name von der Redaktion geändert), was diese Diagnose bedeutet. Ihr Mann war 72, als es passierte, sie 60 Jahre alt. Er hatte einen Schlaganfall. „Nach dem Vorfall waren wir geschockt“, sagt sie. Eric Hoffmann (Name von der Redaktion geändert) überlebte, war jedoch halbseitig gelähmt.
Keinem Familienmitglied war zu diesem Zeitpunkt bewusst, was auf sie zukommen würde. „Wir hatten keine Ahnung“, sagt Sabina. Das Erste, was die Familie erfuhr, war, dass die freien Plätze für Schlaganfallpatienten in der Rehaklinik begrenzt sind. „Es hieß, jüngere Patienten hätten Vorrang.“
Dann kam Covid. „Ich war 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, mit meinem Mann allein zu Hause“, erinnert sich Sabina Hoffmann an die schwere Zeit. „Ich habe alles aus Liebe gemacht.“ Die gemeinsamen Kinder halfen der Mutter bei der Pflege des Vaters – weitere Unterstützung musste die Familie selbst organisieren.
„Ich habe alles aus Liebe gemacht.“
Frau eines Schlaganfallpatienten
Auch um einen freien Reha-Platz musste sie sich selbst kümmern. „Ich habe das Internet durchforstet und viele Telefonate geführt“, sagt Sabina Hoffmann. Die Mühe sollte sich lohnen: Eric Hoffmann bekam schließlich einen Platz. „Er wurde dort auch sehr gut betreut.“ Nach der Reha ging ihr Mann für vier Monate zur Kur ins Ausland. In dieser Zeit gelang es ihm, wieder sprechen und gehen zu lernen. Während der Kur wurde auch das Haus umgebaut. „Das Bad musste vergrößert und einige Türen verbreitert werden“, sagt Sabina Hoffmann.
Sabina Hoffmann spricht von hohen finanziellen Belastungen. Doch die Mühe hat sich gelohnt: Der Gesundheitszustand ihres Mannes verbesserte sich, er konnte sich selbst waschen, nur beim Anziehen benötigte er noch Hilfe. Als er aus der Kur in Deutschland zurückkam, war „hie rëm an der Rei“, zumindest so weit, „dass wir damit leben konnten“.
Nicht alle Familien haben dieses Glück. Chantal Keller berichtet von einem Fall, bei dem ein 40-jähriger Mann wegen eines Schlaganfalls behandelt wurde. Er war Vater eines kleinen Kindes, seine Frau arbeitete Vollzeit. Sie war nicht in der Lage, ihren Mann zu Hause zu pflegen, er kam in ein Pflegeheim.
Nach einem Schlaganfall kann es auch zu Wesensveränderungen kommen, Depressionen sind eine häufige Folge. Bei Eric Hoffmann war das anders. „Er war geistig fit“, sagt seine Frau, und konnte sich – dank des Logopäden – wieder klar ausdrücken.
Unterstützung ist von großer Bedeutung
Direkt nach dem Vorfall war Eric Hoffmann auf den Rollstuhl angewiesen. Um ins Haus zu kommen, musste er den Hintereingang nehmen. Das wollte er aber nicht, „ah nee, dir féiert mech net mam Rollstull, ech ginn d‘Trape rop“, habe er gesagt. Nach einem Jahr war die Treppe kein unüberwindbares Hindernis mehr. „Er fühlte sich weder krank noch alt.“
Trotzdem hätte manches besser laufen können. „Bei einem Schlaganfall ändert sich das Leben von einem Tag auf den anderen komplett“, sagt Sabina Hoffmann rückblickend. Es ist eine neue Situation. Besonders ärgerlich sei die Betreuung der Angehörigen im Krankenhaus gewesen. Der Patient habe die Behandlung bekommen, die er gebraucht habe, aber die Familie sei „nicht mit ins Boot genommen“ worden.
Nur wenig Aufklärung im Krankenhaus
„Wir wurden nicht auf die Belastungen hingewiesen, die auf uns zukommen würden“, so Hofmann. Die Aufklärung im Krankenhaus sei keine große Hilfe gewesen. „Ein Physiotherapeut hat uns auf die Blëtz asbl. aufmerksam gemacht“, sagt Sabina Hoffmann.
„Oft fallen Patienten und Angehörige in ein Loch, wenn sie wieder zu Hause sind“, sagt Chantal Keller. Bei der Vereinigung stand zum ersten Mal die Familie im Mittelpunkt. „Sie haben sich viel Mühe gegeben, um uns zu helfen, trotz Zeitmangel“, betont Sabina Hoffmann.
„Wir haben alles selber auf die Beine stellen müssen“, sagt sie. Eine große Herausforderung, wie sie heute weiß. Denn wie man einen Schlaganfallpatienten pflegt, müssen die Angehörigen erst lernen. Auch welche Therapiemöglichkeiten es gibt, ist oft unbekannt.
Eric Hoffmann suchte einen Logopäden, einen Physiotherapeuten, einen Krankengymnasten und einen Ergotherapeuten auf. „Wir haben ihm auch ein kleines Fahrrad gekauft, um seinen Bewegungsapparat zu trainieren“, sagt Sabina Hoffmann.
„Ein Schlaganfall-Lotse begleitet die Familie über einen längeren Zeitraum und ist erster Ansprechpartner für alle möglichen Fragen.“
Chantal Keller
Präsidentin der Blëtz asbl.
„Jeder Mensch sollte das Recht auf die bestmögliche Behandlung haben“, sagt sie. Die Angehörigen müssten noch im Krankenhaus „von A bis Z“ informiert werden. Auch für die Zeit danach benötigen nicht nur die Patienten, sondern auch die Angehörigen Unterstützung.
Blëtz schlägt deshalb die Einführung eines Schlaganfall-Lotsen vor, der jeder Familie auf Wunsch schon im Krankenhaus zur Seite gestellt werden kann. „Ein Schlaganfall-Lotse begleitet die Familie über einen längeren Zeitraum und ist erster Ansprechpartner für alle möglichen Fragen“, sagt Keller.
Richtig handeln: F.A.S.T.
Mit jeder Sekunde, die nach einem Schlaganfall unbehandelt vergeht, sterben Tausende Neuronen im Gehirn. „Bei einem Schlaganfall muss man schnell reagieren“, schreibt die Blëtz asbl. auf ihrer Internetseite. Aus dem Grund sollte jeder die vier Zeichen und Symptome kennen, die rasche ärztliche Hilfe erfordern:
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